Der Schweizerische Wissenschaftsrat SWR hat seit seiner Gründung im Jahr 1965 drei Namenswechsel und zahlreiche Gesetzesänderungen erlebt. Seine Identität wurde massgeblich durch das Zusammenspiel mit dem sich entwickelnden schweizerischen Bildungs-, Forschungs-, und Innovationssystem geprägt.


In der Nachkriegszeit verfolgten westliche Länder, darunter auch die Schweiz, eine internationale Wissenschafts- und Forschungspolitik mit dem Ziel, die Weltsumme des Wissens zu erhöhen und das Gemeinwohl aller zu verbessern. Zahlreiche Universitäten, Forschungszentren und Gremien wurden in der Schweiz mit diesem gesellschaftlich motivierten Ziel gegründet.


Vor diesem Hintergrund rief der Bundesrat 1965 auch den SWR ins Leben. Das prägte nicht nur seine rechtlichen Aufgaben, sondern auch sein Selbstverständnis. «Wir betrachten es als eine unserer Hauptfunktionen, fruchtbare Ideen und Kräfte in allen Teilen unserer Bevölkerung zu sammeln und zu koordinieren», schrieb der Rat 1967. Er sah sich als «kleines Milizorgan» mit einzigartigen Verpflichtungen und einem Engagement für das Gemeinwohl.
Gut zehn Jahre nach seiner Gründung stellte sich der Rat weitergehende existenzielle Fragen: War er «ein reines Denkorgan oder hat er politische Entscheidungen vorzubereiten»? Sollten seine Aufgaben sektoriell oder horizontal verteilt werden? War er Generalist oder Spezialist? Gemeinsam mit wichtigen Akteuren der BFI-Landschaft kam der Rat zum Schluss, dass der Ausgangspunkt seiner Aufgaben in der Verpflichtung zu einer «globalen und vorausschauenden Sicht über den ganzen Problemkreis» liegt. Der Rat sah seine Hauptfunktion also darin, «Denkrahmen schaffen» und «politische Aktivitäten anstossen» zu können, aber diese nicht zu bestimmen.


Die Frage, wie er innerhalb dieses Denkrahmens handeln sollte, kam 1987 explizit zur Sprache. Mit seiner zunehmenden Verantwortung bei der Vorbereitung der forschungspolitischen Früherkennung und Zielvorstellung im Laufe der 80er-Jahre fragte sich der Rat, ob er eher ein «Expertenrat» oder ein «Verhandlungsrat» sei.


Einerseits war er verpflichtet, seinen Anspruchsgruppen «neue Vorschläge hinsichtlich der wünschbaren Inhalte und der Strukturen im Bereich der Hochschulausbildung und der Forschung zu unterbreiten», andererseits musste er für die zuständigen Behörden «für die anstehenden Probleme Kompromisslösungen aufzeigen». Der Rat experimentierte mit Modellen, die die Vorzüge von beiden zu kombinieren versuchten, um seine mannigfaltigen Funktionen zu erfüllen.
Mit der Ausdehnung seiner Aufgaben in den 90er-Jahren, die inzwischen die Wissenschaftspolitik, die Hochschulpolitik, die Forschungsfrüherkennung, die Technologiepolitik und die Technologiefolgen-Abschätzung umfassten, sah sich der Rat zur Jahrtausendwende als «Sprachrohr der Wissenschaft».


Doch Politik und Verwaltung entwickeln sich in die entgegengesetzte Richtung. Das Ideal der langfristigen Planung, das seit der Nachkriegszeit vorgeherrscht hatte und damals nach wie vor die Hauptperspektive des Rates war, wich dem Prinzip der situativen «Governance». Seine Empfehlungen wurden in den nachfolgenden Jahren weniger beachtet, und das Problem, dass sie rechtlich nicht bindend sind, wurde offenkundig. 2008 verlor der Rat einige Aufgaben, wie die Forschungs-früherkennung und die Technologiefolgenabschätzung, und damit auch Mittel.


In den letzten Jahren hat sich der SWR wieder verstärkt in der BFI-Landschaft positioniert und sich dezidiert zu drängenden Themen geäussert, etwa im Hinblick auf die Frage der Sozialen Selektivität oder der Digitalisierung.


Aufgrund der Covid-19-Pandemie und der schwierigen Beziehung zwischen der Schweiz und der Europäischen Union herrscht zurzeit grosse Unsicherheit im BFI-System, was sowohl Herausforderungen wie auch Chancen mit sich bringt. Der SWR befasst sich intensiv mit beiden Themen und wird, wie so oft in seiner Geschichte, gleichzeitig von ihnen beeinflusst.