Die grössten Herausforderungen für die BFI-Landschaft bis 2035
Martina Hirayama benennt die drei grössten Herausforderungen aus ihrer Perspektive – in einem Beitrag zum 60-Jahre-Jubiläum des SWR.
Die Berufsbildungsbildung weiter stärken
Die Frage nach Fachkräften für eine sich wandelnde Wirtschaft und nach einer möglichst guten Passung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt die Länder weltweit. Dass sich die Schweiz in diesem Spannungsfeld vergleichsweise gut behauptet, ist statistisch erhärtet. Die Arbeitslosenquote insgesamt und die Jugendarbeitslosenquote sind im internationalen Vergleich bemerkenswert tief. Das hängt, natürlich, mit dem erfreulichen Gang der Wirtschaft zusammen, die Arbeitsplätze in hoher Zahl anbietet. Diese aber auch besetzen zu können, ginge jedoch nicht ohne Fachkräfte mit den Kompetenzen, die von Branchen und Firmen tatsächlich nachgefragt werden. Dabei ist die Wirtschaft angewiesen auf einen guten Fachkräftemix. Zu diesem leistet die duale Berufsbildung zusammen mit der höheren Berufsbildung einen ausserordentlich wertvollen Beitrag: Nach wie vor machen hierzulande rund 2/3 aller Jugendlichen über eine Berufslehre den Schritt in die Arbeitswelt. Durch die enge Verzahnung von Praxis (Betrieb) und Theorie (Berufsschule) erwerben Auszubildende direkt anwendbare Kompetenzen.
Damit das so bleibt, müssen wir der Berufsbildung auch in Zukunft Sorge tragen. Das heisst unter anderem, die hohe Relevanz der Berufsbildung zuhanden der Jugendlichen und ihrer Familien immer wieder herauszustreichen! Wir haben die Verantwortung, dass die Berufsbildung auch weiterhin ihre hohe gesellschaftlichen Anerkennung bewahrt. Zudem müssen (Weiter-)Bildungsinvestitionen für die Wirtschaft attraktiv bleiben. Sie trägt die Verantwortung für die Sicherung und Weiterentwicklung eines zentralen Wettbewerbsfaktors: ihre Mitarbeitenden.
Der Berufsbildung Sorge tragen heisst auch, die Curricula in und mit der Zeit weiterzuentwickeln. Künstliche Intelligenz prägt heute Wirtschaft, Gesellschaft und Alltag. Um junge Menschen auf die künftige Arbeitswelt vorzubereiten, muss KI-Kompetenz integraler Bestandteil von schulischer und beruflicher Bildung sein. Dazu gehört auch die Fähigkeit, KI kritisch, ethisch und kreativ einzusetzen. Die Initiative «Berufsbildung 2030» adressiert Megatrends wie die Digitalisierung, die steigende berufliche Mobilität oder den demografischen Wandel als Herausforderung für die Menschen und Unternehmen. Auf diesem Weg gilt es verbundpartnerschaftlich weiterzugehen.
Bildungssystemische Durchlässigkeit ermöglichen, aber nicht der Durchlässigkeit willen
Das Schweizer Bildungssystem soll von hoher Qualität und gleichzeitig durchlässig sein, das verlangt die Bundesverfassung. Bleibt «hohe Qualität» in einer sich wandelnden Zeit eine stetige Herausforderung, ist in Sachen «Durchlässigkeit» bereits vieles verwirklicht: Ob horizontal oder vertikal, es gibt heute im Gesamtsystem beinahe keinen Abschluss ohne Anschluss. Das heisst nicht, dass für Bildungswillige künftig keine weiteren neuen Wege eröffnet werden können und sollen. Aber persönliche Eignung, Kompetenz und Leistung müssen Bedingung bleiben, ebenso ein sorgfältiger Umgang mit dem Bildungssystem als Ganzem. Dies bedeutet, dass Übergänge nachvollziehbar und an klaren Profilen der nachfolgenden Bildungsangebote ausgerichtet bleiben müssen. Selektion ist ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Systems.
Die Profile der Hochschultypen weiterentwickeln und Synergien der Hochschulen nutzen
Ein zukunftsfähiges Bildungssystem versteht berufliche und akademische Bildung als gleichwertige, sich ergänzende Säulen, die sich auch in differenzierten Profilen der Hochschulen abbilden. Universitäten tragen mit grundlagenorientierter Forschung, wissenschaftlicher Exzellenz und internationaler Vernetzung ebenso zur Innovationskraft und zum Wissenstransfer bei wie die praxisorientiert und arbeitsmarktnah ausgerichteten Fachhochschulen. Gemeinsam mit den für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen verantwortlichen Pädagogischen Hochschulen stärken sie die bildungssystemische Durchlässigkeit und Vielfalt.
Hochschulen sind gefordert, entsprechend ihren Profilen durch exzellente Forschung, innovative Lehrformate und internationale Vernetzung ihre jeweilige Spitzenposition zu behaupten und weiterzuentwickeln und gleichzeitig Wissens- und Technologietransfer zu fördern sowie gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Hochschulen stehen heute vor besonderen Anforderungen: Sie müssen die Potenziale von KI in Forschung, Lehre und Verwaltung gezielt nutzen und zugleich ihre finanzielle Handlungsfähigkeit langfristig sichern. In einer zunehmend angespannten geopolitischen Lage gilt es, internationale Kooperationen strategisch zu gestalten und gleichzeitig Knowledge Security zu gewährleisten. Der rasche Wandel in Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft erfordert strategische Positionierung sowie Anpassungsfähigkeit, ohne Exzellenz als Ziel aus den Augen zu verlieren. Dabei gilt es, den Profilen der Hochschultypen Sorge zu tragen. Und wichtig bleibt auch, die transversalen Themen Digitale Transformation, Nachhaltige Entwicklung, Chancengerechtigkeit sowie nationale und internationale Zusammenarbeit konsequent in allen Leistungsbereichen umzusetzen.
National gilt es, Synergien zwischen den Hochschulen gezielt zu gestalten und zu nutzen, ohne den Wettbewerb aus den Augen zu verlieren, da beides, Kooperation und Wettbewerb, Innovationskraft und Qualität fördern. Es muss gelingen, unter Wahrung der Autonomie der Akteure neben regionalen und kantonalen Interessen auch nationale Synergiepotentiale besser zu identifizieren und zu nutzen, um das exzellente Schweizer Hochschulsystem auch künftig im internationalen Wettbewerb effizient und effektiv positionieren zu können.
Die Exzellenz unserer Hochschulen in Forschung und Innovation wird massgeblich auch durch die wettbewerbsbasierte Vergabe von Fördermitteln durch den Schweizerischen Nationalfonds und Innosuisse sowie internationale Programme gefördert. Indirekt haben SNF und Innosuisse durch die Wahl der Evaluationskriterien einen grossen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Profile unseres Hochschulsystems und eine entsprechend wahrzunehmende Verantwortung. Exzellenz unserer Hochschulen bedeutet indessen nicht nur Höchstleistung in Forschung, Lehre und Wissens- und Technologietransfer, sondern auch Resilienz, Offenheit, den Dialog mit Gesellschaft und Politik sowie die Fähigkeit, neue Rahmenbedingungen aktiv zu gestalten.
Last, but not least: Ein Schweizer Bildungssystem, das sich sowohl in seiner Gesamtheit konsistent weiterentwickelt als auch den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technologischen und geopolitischen Veränderungen gerecht wird, benötigt gemeinsame Anstrengungen von Bund, Kantonen, Gemeinden und Sozialpartnern.
