Der Schweizerische Wissenschaftsrat im Wandel
Wenn man mit Dieter Imboden über Wissenschaftspolitik spricht, öffnet sich automatisch der Blick aufs grosse Ganze. Als langjähriger ETH-Professor mit Gastprofessuren am MIT, am Caltech und in Seattle, als ehemaliger Präsident des SNF, Aufsichtsratsvorsitzender des österreichischen FWF und als Leiter der «Internationalen Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative» (IEKE, auch als «Imboden-Kommission» bekannt) im Auftrag der deutschen GWK (Gemeinsame Wissenschaftskonferenz) kennt er die Forschungslandschaften Europas und der USA aus nächster Nähe.
Und Imboden kennt auch den Schweizerischen Wissenschaftsrat SWR aus einer sehr persönlichen Perspektive: Sein Vater Max Imboden war sein erster Präsident.
Unser Gespräch, angesetzt auf eine Stunde, wurde zu einem inspirierenden zweistündigen Streifzug durch die Geschichte, Gegenwart und mögliche Zukunft des schweizerischen BFI-Systems – klug analysiert und weitsichtig eingebettet in einen internationalen Kontext.
Die Anfänge – warum es den SWR ursprünglich brauchte
Anfang der 1960er Jahre war die universitäre Lehre und Forschung fast ausschliesslich die Sache der Kantone. Der Bund war lediglich mit der ETH und in der Forschungsförderung mit dem SNF beteiligt. Ein Bundesamt für Bildung und Wissenschaft gab es noch nicht. Gleichzeitig wurde die wissenschaftliche Ausbildung und Forschung teurer – vor allem wegen der Forschungsinfrastrukturen der Naturwissenschaften – und überstieg die Ressourcen vieler Kantone.
Der Bund reagierte: Der SWR erhielt den Auftrag, das Universitätsgesetz zu entwickeln, das die heute selbstverständliche geteilte Finanzierung zwischen Bund und Kantonen regelt. Eine zweite Aufgabe war der Aufbau wissenschaftspolitischer Expertise im Bund – der Keim des späteren SBFI.
Dass der Nutzen des Wissenschaftsrates als unabhängig beratendes Expertengremium in den folgenden Jahrzehnten zwar immer wieder hervorgehoben wurde, aber seine Aufgaben kaum strategisch weiterentwickelt wurde, fasst Imboden pointiert zusammen:
«Die Politik hat eine lange Tradition der Grundsteinlegungen, aber keine Tradition im kontinuierlichen Nachjustieren und Einbetten dieser Grundsteine.»
Nachjustieren – Unabhängigkeit als strategische Ressource
Heute steht weniger der institutionelle Aufbau des BFI-Systems als vielmehr das Werben um knappe Ressourcen im Vordergrund. Der Wettbewerb um Ressourcen ist härter geworden, das System komplexer, die politische Aufmerksamkeit fragmentierter. In einem solchen Umfeld entstehen schnell Interessenkonflikte: Wer Fördergelder vergibt oder davon abhängig ist, wird oft als parteiisch wahrgenommen.
Für Imboden liegt gerade darin die Chance für den SWR: Als Institution, die keine Fördergelder vergibt, ist er frei von Interessenkonflikten. Diese Unabhängigkeit verschafft ihm Glaubwürdigkeit und Reputation – zwei Voraussetzungen dafür, in einem umkämpften System Orientierung geben und strategische Impulse setzen zu können.
Dafür braucht es Personen mit Erfahrung in Hochschulleitung und Hochschulpolitik, strategische Persönlichkeiten mit internationaler Perspektive und einen klaren Willen des Bundesrates, die Expertise des SWR in seine Entscheidungsgrundlagen einzubeziehen. Denn die Aufgabe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Politikberatung sieht auch Imboden nüchtern: «Spezialwissen kann keine politischen Entscheidungen ersetzen. Wissenschaft kann Szenarien entwickeln – die Bewertung bleibt Aufgabe der Politik.»
Orientierung bieten in Zeiten von Strukturwandel
Ein zentrales Thema, das Imboden beschäftigt, ist der akademische Nachwuchs. Im Hochschulwesen sind Doktorierende willkommene, weil günstige Arbeitskräfte, die die Forschung voranbringen – aber gleichzeitig ist unklar, für welche Rolle diese Ausbildung eigentlich gedacht ist. Der Vergleich mit den USA zeigt Alternativen: kleinere Forschungsgruppen, intensivere Betreuung, klarere Karrierewege.
An den Schweizer Universitäten hat der Strukturwandel bereits begonnen: Tenure-Track-Modelle verbreiten sich, traditionelle Volluniversitäten mit umfassendem Fächerspektrum sind heute selten, die Spezialisierung nimmt zu. Dass heute mehr Studierende und Hochschulabsolventen den Weg an die Universitäten finden, ist Ausdruck einer gesunden, organischen Entwicklung der Hochschullandschaft. Exzellenz entsteht nicht durch politische Beschlüsse, sondern durch gute Rahmenbedingungen und Autonomie. Wie Imboden es bildhaft beschreibt: «Man pflanzt hundert Setzlinge, und zwei oder drei entwickeln sich prächtig.»
Den Eindruck einer Überakademisierung, wie er aktuell in den Medien diskutiert wird, sieht Imboden als Ausdruck einer Pendelbewegung: Früher war der Anteil Maturitätsabschlüsse zu tief, heute sei der gesellschaftliche Wert der Berufsbildung unterschätzt. Zentral sei daher die Frage, welche Ausbildungen tatsächlich ein Hochschulstudium erfordern und wo eine praxisnahe berufliche Ausbildung zielführender ist. Hier sieht Imboden den SWR in einer potenziell wichtigen Rolle: als eine unabhängige Instanz, die grundlegende Fragen des Bildungssystems stellt – nicht nur solche der Arbeitskräfteversorgung für die Industrie.
Schweizer Exzellenz braucht internationale Offenheit
Besonders deutlich wurde Imboden beim internationalen Vergleich: Die Qualität des Schweizer Hochschul- und Forschungssystems sei unbestritten – gleichzeitig aber auch verletzlich. Ohne internationale Rekrutierung, ohne den Bezug zu Europa, ohne vergleichbare Standards drohe der der Schweiz der Verlust dessen, was man über Jahrzehnte aufgebaut hat.
Imboden greift auf die Metapher der Setzlinge zurück: Die Schweiz funktioniere im übertragenen Sinne wie ein gesunder Wald. Nicht der einzelne Baum, sondern das Zusammenspiel vieler Akteure, Institutionen und Ideen macht das System stark. Genau deshalb wäre eine Abschottung gefährlich – sie würde die Balance des Systems schwächen. Eine Aufgabe des SWR kann es sein, genau diesen Blick aufs Ganze wachzuhalten, über einzelne Projekte hinaus zu denken und die Vernetzung des Systems sichtbar zu machen. Der SWR kann sicherstellen, dass die Schweiz nicht nur national exzellent ist, sondern auch international anschlussfähig und vergleichbar bleibt – ein Wächter, der die strategischen Gesamtperspektive und langfristige Risiken und Chancen gleichermassen im Blick behält.
Was ein SWR heute leisten könnte
Zum Schluss erinnert Imboden an den gesetzlichen Auftrag des SWR, wie er im FIFG Art. 54 steht: «Er [der SWR] berät aus eigener Initiative oder im Auftrag des Bundesrates (...) den Bundesrat in allen Fragen der Forschungs- und Innovationspolitik.»
Diesen Auftrag zu erfüllen kann nur gelingen, wenn einerseits die Zusammensetzung des Rates höchste Kompetenz und Erfahrung auf dem Gebiet der Wissenschaftspolitik garantiert und andererseits der Bundesrat diese Kompetenz tatsächlich auch nachfragt. Eine Weiterentwicklung des SWR in diese Richtung würde Zeit und den entsprechenden Willen aller Beteiligten brauchen. Der Schweiz und der Schweizer Forschung täte es gut.
