Koopetition unter Druck: Wie knapper werdende Ressourcen den Hochschulraum verändern - 7. REHES-Tagung
7. REHES-Tagung, 7. November 2025: Institutionalised competition and cooperation in higher education and science. Das Netzwerk REHES – Research on Higher Education and Science fördert den Dialog zwischen Forschung, Politik und Hochschulpraxis zu Themen, die die Zukunft des Schweizer Hochschul- und Wissenschaftssystems betreffen. An der siebten REHES-Tagung diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Hochschulen, Politik und Verwaltung über ein Thema, das den Schweizer Hochschul- und Forschungsraum in den kommenden Jahren prägen dürfte: Wie lassen sich Wettbewerb und Kooperation unter zunehmend knappen Ressourcen neu austarieren – und wie kann wissenschaftliche Expertise zur Orientierung beitragen?
Im Zentrum der Nachmittagsrunde standen Staatssekretärin Martina Hirayama (SBFI), Daniel Schönmann (Vorsteher des Amtes für Hochschulen, Kanton Bern), Sabine Süsstrunk (Präsidentin Schweizerischer Wissenschaftsrat SWR) und Luciana Vaccaro (Präsidentin swissuniversities) moderiert von Stefan Joller (Vizepräsident Hochschulentwicklung FHNW). Sie diskutierten die Frage: Where does Swiss higher education and science need more competition, where more cooperation?
Eine Zeitenwende im BFI-System
Sabine Süsstrunk, Präsidentin des Schweizerischen Wissenschaftsrates, sprach in ihrem Beitrag von einer «Zeitenwende», die auch Bildung, Forschung und Innovation betreffe. Die massiven Investitionen in Verteidigung und Sicherheit führten zu neuen Verteilkämpfen, während gleichzeitig die Wahrnehmung von Wissenschaft und wissenschaftlichen Fakten in Politik und Gesellschaft unter Druck geraten sei – nicht zuletzt durch die Erfahrungen der Covid-Krise und durch geopolitische Verschiebungen.
Vor diesem Hintergrund, so Süsstrunk, müsse das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Expertise und Politik präzisiert werden. Sie unterschied dabei zwischen «science for policy» – also der wissenschaftlichen Beratung von Politik und Verwaltung zu konkreten Sachfragen – und «policy for science», der Gestaltung langfristiger Rahmenbedingungen für Bildung, Forschung und Innovation. Letzteres sei der zentrale Auftrag des SWR und zugleich ein Anliegen des REHES-Netzwerks.
Koopetition als Leitprinzip
Luciana Vaccaro, Präsidentin von swissuniversities, sah in der aktuellen Knappheit eine Chance für strukturelle Veränderungen: «Weniger Mittel können der Hebel für bessere Kooperation sein – wenn wir Doppelspurigkeiten vermeiden und unsere Governance überdenken.» Allerdings, so ihre Warnung, sollten Budgetkürzungen nicht zum einzigen Motor der Zusammenarbeit werden.
Daniel Schönmann, Vorsteher des Amts für Hochschulen des Kantons Bern, erinnerte daran, dass das Schweizer BFI-System immer schon auf einem Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Kooperation beruhe. Der Begriff der «Coopetition», ursprünglich aus der strategischen Managementlehre (Brandenburger & Nalebuff, 1996) und in der Schweiz geprägt durch den früheren Staatssekretär für Bildung und Forschung, Charles Kleiber, beschreibt diese Balance treffend: Hochschulen und Forschungsinstitutionen stehen im Wettbewerb um Mittel, Studierende und Sichtbarkeit – müssen aber gleichzeitig zusammenarbeiten, um Qualität, Effizienz und gesellschaftliche Wirkung zu sichern.
Schönmann betonte, dass Kooperation nicht als Sparinstrument missverstanden werden dürfe: «Zusammenarbeit funktioniert nur, wenn sie allen dient – nicht, wenn sie allein der Kostensenkung dient.» Zugleich dürfe Wettbewerb nicht zur Verwischung institutioneller Profile führen, etwa wenn Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen und Universitäten um dieselben knappen Ressourcen konkurrieren.
Autonomie, Vertrauen und wissenschaftliche Beratung
Staatssekretärin Martina Hirayama hob die hohe Autonomie der Schweizer Hochschulen und Förderagenturen hervor – ein Erfolgsfaktor, der jedoch Verantwortung erfordere. Gerade angesichts knapperer Mittel brauche es Klarheit über Ziele und Profile im BFI-System. Wettbewerb und Kooperation müssten in einem gesunden Gleichgewicht stehen, um Exzellenz zu sichern und Innovationszyklen effektiv zu gestalten.
Sabine Süsstrunk ergänzte diese Perspektive um eine weitere Dimension: die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik. Vertrauen, so betonte sie, sei die zentrale Ressource für wirksame wissenschaftliche Politikberatung. Mit Unterstützung der Bundeskanzlei habe sich in den letzten Jahren das Nationale Netzwerk für wissenschaftliche Beratung etabliert – bestehend aus Innosuisse, SNF, swissuniversities, den Akademien, dem ETH-Rat und dem SWR. Diese Kooperation, formalisiert durch eine Vereinbarung von 2023, bündelt die Expertise der Wissenschaft, um Politik in Krisen- wie Routinezeiten bei Bedarf fundiert zu beraten. Aktuell laufen Pilotprojekte zu Themen wie öffentlicher Gesundheit, Cybersicherheit und Desinformation; weitere Cluster zu Naturgefahren und wirtschaftlichen Krisen sind geplant. Die Schaffung des Netzwerks gehe auch auf die Empfehlungen des SWR in seinem Bericht im Nachgang zur Covidpandemie zurück.
Konkurrenz, Kooperation und die Legitimität der Wissenschaft
Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion lag auf der Frage, wie Hochschulen trotz Austerität ihre gesellschaftliche Legitimität und Vertrauensbasis sichern können. Süsstrunk mahnte, dass wissenschaftliche Unabhängigkeit auch unter finanziellem Druck nicht geopfert werden dürfe. Forschung müsse methodisch robust bleiben, und interinstitutionelle Kooperation könne helfen, Qualität, Wirksamkeit und Transparenz zu sichern.
Lehren für Bildung, Forschung und Innovation
In der abschliessenden Diskussion wurde deutlich, dass ein Gleichgewicht zwischen Wettbewerb, Kooperation und Vertrauen erreicht werden muss. Es braucht dazu:
Anreizsysteme und Förderinstrumente, die Kooperation über Hochschultypen und Disziplinen hinweg fördern, ohne Profile zu verwischen.
Gestärkte wissenschaftliche Beratungskapazitäten an Hochschulen und ETHs – als Teil ihrer «Third Mission».
Mechanismen, um Forschungsexpertise in politische Entscheidungsprozesse einzubringen, ohne wissenschaftliche Integrität und politische Abwägungen zu gefährden.
Und schliesslich eine Kultur des Vertrauens, die sowohl innerhalb des BFI-Systems als auch zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Politik getragen wird.
Fazit: Vertrauen und Verlässlichkeit als Grundlage der Koopetition
Die Diskussion zeigte: Koopetition ist kein Nullsummenspiel, sondern ein spannunsgreiches Beziehungsmodell – zwischen Hochschulen, zwischen Institutionen und zwischen Wissenschaft und Politik. In Zeiten knapper Mittel wird dieses Modell zusätzlicher Spannungen ausgesetzt sein. Koopetition funktioniert nur dann, wenn sie auf gegenseitigem Vertrauen, Transparenz und klaren strategischen Zielen beruht.